
Nickel & Bagel
Was will er eigentlich? Haben wir uns das nicht alle schon einmal gefragt? Egal was man von Donald Trump hält, einfach zu durchschauen ist er nicht.
Das gilt auch für die Zölle, mit denen er die Märkte in den letzten zwei Monaten vor sich hergetrieben hat. Chaos oder genialer Plan? Schwer zu sagen. Wir haben es trotzdem versucht. Und wir glauben, wir haben ihn durchschaut. Er möchte Fünfer und Weggli. Oder in seinem Fall vielleicht eher: Nickel und Bagel.
Oder etwas konkreter: Trump möchte sein Wahlversprechen einlösen und Jobs in die USA zurückbringen, die durch die Globalisierung in den vergangenen fünfzig Jahren ans Ausland ausgelagert wurden. Den Preis, den die USA dafür erhalten haben – die Vormachtstellung des USD – will er trotzdem nicht zurückzahlen.
Warum das schwierig werden dürfte und wie er versucht, Strafzölle als Druckmittel einzusetzen, um seine Ziele dennoch zu erreichen, erfährst du in diesem Marktbericht.
«The most beautiful word in the dictionary is tariff.»
Wenn wir Trumps Plan durchschauen möchten, ist es sinnvoll, mit dem zu beginnen, was wir sicher wissen – etwa, weil er es uns immer wieder gesagt hat. Deshalb lässt sich auch zweifellos feststellen: Trump liebt Zölle.
Er verspricht sich – oder vielmehr seiner Wählerbasis – von Zöllen eine Wiederbelebung der amerikanischen Industrie. Die Reindustrialisierung der USA. Die einfache Logik dahinter: Zölle verteuern ausländische Produkte und erhöhen damit die Nachfrage nach einheimischen Waren und Dienstleistungen. Jobs kommen zurück, die Arbeitslosigkeit nimmt ab.
So weit nachvollziehbar. In der Realität ist der internationale Handel aber komplexer. Deshalb bricht die logische Kette an dieser Stelle nicht ab, sondern es folgt eine Reihe weiterer Effekte, die Zölle kontraproduktiv machen. Durch die zunehmende Nachfrage nach einheimischen Produkten steigen nämlich in einem zweiten Schritt auch die Preise im Inland. Oder anders formuliert: Zölle machen durch den sinkenden Wettbewerb und die steigende Nachfrage nicht nur ausländische, sondern indirekt auch inländische Güter teurer. Die Inflation steigt.
Was danach passiert, kann man in jedem Lehrbuch (oder in einem unserer Marktberichte zu diesem Thema) nachlesen: Um die Inflation zu bekämpfen, erhöhen die Nationalbanken die Zinsen. Dadurch wird Geld teurer, Investitionen und Konsum nehmen ab bis sich die Preise schliesslich wieder stabilisieren. Darüber hinaus haben die höheren Zinsen einen zweiten Effekt. Sie machen eine Währung attraktiv – in diesem Fall den US-Dollar. Dadurch steigt der Währungskurs, was wiederum zu mehr Importen führt; man erhält jetzt mehr ausländische Güter pro Dollar. Mit der steigenden Nachfrage nach ausländischen Produkten steigen auch deren Preise weiter und der Kreis schliesst sich.
Die Einführung von Zöllen kann also eine Inflationsspirale in Gang setzen, die zu höheren Zinsen und einer Aufwertung des US-Dollars führt. Wie wir gleich noch sehen werden, liegt in diesem Zusammenhang das Dilemma von Trumps «Nickel & Bagel»-Politik.
«We take their cars. They take no cars.»
Dabei geht es Trump um mehr als nur Jobs. Er möchte die Handelsbilanz der USA ausgleichen. Diese beschreibt das Verhältnis zwischen Exporten und Importen. Exportiert eine Nation mehr Güter, als sie importiert, resultiert ein Handelsüberschuss – man verkauft mehr als man kauft. Überwiegen hingegen die Importe, wie im Fall der USA, spricht man von einem Handelsdefizit.
Wechselkurse und Zölle bestimmen dabei die Attraktivität von heimischen im Vergleich zu ausländischen Gütern und damit, in welche Richtung die Handelsbilanz kippt. Länder mit einer starken Währung und niedrigen Zöllen weisen deshalb häufig ein Handelsdefizit auf; sie importieren viel und günstig. Was sich im ersten Moment negativ anhört, hat also durchaus Vorteile. Einige der reichsten Länder der Welt weisen hohe Handelsdefizite auf. Unter anderem Israel, Japan, Spanien, Frankreich oder Grossbritannien. Und natürlich die USA.
All diese Länder sind nicht nur sehr reich, sondern auch technologisch weit fortgeschritten. Sie haben von der Globalisierung und der zunehmenden Arbeitsteilung profitiert, indem sie sich auf hochqualitative (und profitable) Branchen spezialisiert und die industrielle Produktion in Länder wie China ausgelagert haben. Dieser Prozess brachte für viele grossen Wohlstand und günstigen Konsum. Für einige aber auch Arbeitslosigkeit und Armut. Insbesondere im Nordosten der USA – dem «Rust Belt» – rund um Pennsylvania und Detroit, wo früher die amerikanische Auto- und Stahlindustrie ansässig war.
Die Globalisierung hat den USA und anderen entwickelten Ländern also nicht nur Wohlstand und technologischen Fortschritt gebracht, sondern auch ein Handelsdefizit und die Deindustrialisierung. Während die industrielle Produktion bis Anfang der sechziger Jahre noch über ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt der USA beitrug, sank ihr Anteil bis 2025 auf rund zehn Prozent. Im gleichen Zeitraum und aus den gleichen Gründen geriet die US-Handelsbilanz aus dem Gleichgewicht, was bis heute in einem Handelsdefizit von jährlich 900 Milliarden US-Dollar resultiert.
Neben den wirtschaftlichen Problemen und der strukturellen Arbeitslosigkeit, die diese Entwicklung insbesondere im Rust Belt verursachte, stellt die Deindustrialisierung aus Perspektive der US-Regierung zusätzlich ein kritisches Sicherheitsrisiko dar. Zumindest, wenn man den Worten von Vizepräsident Vance glauben darf: Bei einer Rede Anfang des Jahres stellte er fest, dass die USA bis Mitte des letzten Jahrhunderts noch alle zwei Tage drei neue Frachtschiffe produzierten. Heute seien es gerade einmal fünf kommerzielle Schiffe pro Jahr. Im Gegensatz dazu habe einer von Chinas Staatsbetrieben allein im letzten Jahr mehr Schiffe gebaut als Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Botschaft dahinter lautet: Ein Abbau des Handelsdefizits bringt Jobs und Sicherheit zurück und macht die USA wirtschaftlich und militärisch wieder stark. Make America Great Again.
«I have concepts of a plan.»
Der Masterplan, der sich hinter dem Posterspruch der Republikaner verbirgt, ist also gar nicht so abstrakt. Er besteht in einer gezielten Reindustrialisierung der USA – Trump möchte wohl die Uhr zurückdrehen. Und zwar nach der bereits bekannten Logik:
In einem ersten Schritt soll der US-Dollar geschwächt werden. Dadurch werden US-Produkte im Ausland günstiger und ausländische Produkte im Inland teurer – die relative Attraktivität von amerikanischen Gütern steigt. Die Exporte nehmen zu, die Importe sinken, das Handelsdefizit reduziert sich und die ausgelagerten Jobs kommen zurück. Die USA sind wieder eine Industrienation. America is Great Again.
Leider hat der Plan mindestens einen Haken:
«You wanna go back to Third World, lose your reserve currency.»
Die benötigte Abwertung gefährdet das Vertrauen in den US-Dollar und damit seine Rolle als Reservewährung. Ein grosser Teil des internationalen Handels wird in Dollar abgewickelt. Dies zwingt Nationen und Unternehmen weltweit dazu, sich im grossen Stil mit der amerikanischen Währung einzudecken. Das verleiht dem Dollar Stärke und Stabilität. Und es ermöglicht den USA, so günstig Schulden aufzunehmen, wie kein anderes Land. Dieses sogenannte exorbitante Privileg hat Amerika zur wirtschaftlichen und militärischen Weltmacht gemacht.
Trump möchte die USA also durch eine Schwächung des Dollars reindustrialisieren und damit die negativen Folgen der Globalisierung rückgängig machen. Gleichzeitig ist er aber nicht bereit, den dafür notwendigen Preis zu zahlen: Der US-Dollar soll seine Vormachtstellung unbedingt behalten. Er möchte Nickel & Bagel. Jobs & Reservewährung.
«Please, please, sir, make a deal!»
Die Zölle sollen offenbar das Unmögliche möglich machen. Weil er als Präsident keinen direkten Einfluss auf den Wechselkurs des US-Dollars hat, benutzt er sie als Verhandlungsmasse. Wie genau das funktionieren soll, ist bis heute zwar unklar. Das soll uns aber nicht vom Spekulieren abhalten:
Im heutigen mehrheitlich neoliberalen Wirtschaftssystem mit Freihandel und variablen Wechselkursen ist eine ernsthafte Abwertung des US-Dollars kaum vorstellbar, ohne seine Rolle als Reservewährung zu gefährden. Der vielleicht einzige (umstrittene) Weg, um dies dennoch zu erreichen, wäre eine teilweise Rückkehr zu einem System wie Bretton Woods, das vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Anfang der Siebzigerjahre galt. Damals verpflichteten sich die Handelspartner der USA zu einer engen wirtschaftlichen Bindung und erhielten dafür Zugang zum amerikanischen Markt. Konkret bestand die Bindung damals in der Kopplung der eigenen Währung an den US-Dollar.
Ein ähnlich umfangreiches System fixer Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar ist heute zwar nur noch schwer vorstellbar. Unter anderem die Schweiz wäre wohl kaum bereit, ihre geldpolitische Unabhängigkeit aufzugeben und den Franken an den US-Dollar zu koppeln. Eine Light-Version von Bretton Woods ist aber auch ohne flächendeckende Währungsanbindung denkbar.
Im Grunde geht es Trump nämlich einfach darum, die Fronten zu klären. «Freunde» werden über Wechselkursanbindungen, Rohstoffdeals oder ähnliche Zugeständnisse wirtschaftlich abhängig gemacht und erhalten im Gegenzug mehr oder weniger freien Zugang zum amerikanischen Markt. Feinde werden mit Strafzöllen und anderen Massnahmen so weit wie möglich vom System ausgeschlossen. Die Zölle nutzt Trump dabei als Druckmittel, um Freund und Feind an den Verhandlungstisch zu zwingen und sich für eine Seite zu entscheiden. Das Ziel: Eine Neuordnung des Welthandelssystems im Sinne der USA.
«THIS IS A GREAT TIME TO BUY!!! DJT»
Vor diesem Hintergrund war es zu erwarten, dass die Strafzölle, die Trump am «Liberation Day» vom 2. April als Befreiungsschlag verkündete, nicht für die Ewigkeit gedacht waren. Es ist anzunehmen, dass auch Trump – oder zumindest sein Beraterteam – sich der verheerenden Folgen bewusst war, die solche Zölle langfristig auf die Weltwirtschaft haben würden. Umso erstaunlicher waren die Reaktionen auf die Nachricht an den Börsen: In den Tagen nach der Verkündung des Zollpakets brachen die Märkte weltweit deutlich ein. Schweizer Aktien verloren innerhalb einer Woche rund 16 Prozent an Wert. Der US-Aktienmarkt sogar über 20 Prozent.
Womöglich wurden davon nicht nur die Investorinnen und Investoren überrascht, sondern auch Trump selbst. Bereits am 9. April sah er sich gezwungen, zurückzurudern und die Zölle teilweise zu pausieren, um die Märkte zu beruhigen. Wenige Stunden zuvor hatte er über Truth Social die Weltöffentlichkeit (oder zumindest seine Follower) noch darauf hingewiesen, dass jetzt wohl ein günstiger Zeitpunkt zum Kauf von Aktien wäre: «THIS IS A GREAT TIME TO BUY!!! DJT». DJT ist das Börsenkürzel der Trump Media & Technology Group an der US-Technologiebörse NASDAQ. Eine Erinnerung, dass man Trump öfters beim Wort nehmen sollte: In den folgenden Tagen erholten sich die Aktienmärkte rasant vom Zollhammer und nähern sich bis heute wieder ihren Höchstständen von Mitte März an. Schweizer Aktien haben seit Jahresbeginn wieder fast zehn Prozent an Wert zugelegt. Und auch der US-Aktienmarkt ist seit kurzem zumindest wieder leicht in die Gewinnzone zurückgekehrt.
Unabhängig davon, ob die kurzfristige Aufhebung der Zölle Teil einer langfristig geplanten US-Verhandlungsstrategie war oder Trump tatsächlich kalte Füsse bekam: Der Schritt war früher oder später unvermeidlich. Anderenfalls hätte eine globale Wirtschaftskrise gedroht, die auch nicht in Trumps Interesse gewesen wäre. Dieses Szenario scheint für den Moment gebannt. Die Märkte haben sich in den letzten Wochen wieder deutlich beruhigt und scheinen ihren Aufwärtstrend der letzten zwei Jahre fortzusetzen.
Gestützt wurde diese Entwicklung zusätzlich durch die Nachrichten über eine Einigung der USA mit Grossbritannien und später China. Auch wenn es sich dabei offenbar eher um Absichtserklärungen als um konkrete Vereinbarungen handelt, könnten diese Trump den benötigten symbolischen Sieg bescheren, um das Zollkapitel ohne Gesichtsverlust gegenüber seiner Wählerbasis zu schliessen. Am Ende heisst es also wohl auch für den mächtigsten Mann der Welt: Nickel oder Bagel.